Innovativ, intim, im Netz: Kreative Initiativen in Basels Kulturszene
Von Tara Hill
Eigentlich hat Kultur in Basel im Sommer traditionell Hochsaison: Kunstmessen, Festivals und Freiluftkonzerte bestimmen den vollen Event-Terminkalender. Doch dieses Jahr ist alles anders: Das Coronavirus hat die Planung überall auf den Kopf gestellt. Mit Beginn des Lockdowns verabschiedete sich der gesamte Kulturbereich erst einmal in die Zwangs- pause. In der Zwischenzeit entstand allerdings eine Vielzahl kreativer Initiativen und neuer Projekte, die nun peu-à-peu ans Tageslicht treten und mit spannenden Farbtupfern die ursprüngliche Agenda ersetzen.
GEMEINNÜTZIGE PROJEKTE Ein innovatives Projekt sticht dabei hervor: Die Kulturklinik. Konzipiert als eine Art Kriseninterven-tion, um freischaffenden Künstlern Soforthilfe zu leisten, hat die Plattform sich laut Initiant Luca Piazzalonga «rasant und dennoch organisch» entwickelt. Im Online-Shop lassen sich sogenannte «Kulturpfläschterli» und «Medizinköfferli» (vom Kunstwerk bis zum Privatkonzert) erstehen, und Merchandising mit dem Motto: «Weil man Kultur nicht hamstern kann.» Der Erlös geht an alle angemeldeten Kulturschaffenden gleichermassen. Nachdem so bereits eine beeindruckende Summe von 38ʼ000 Franken zusam- men kam (pro Person etwa einen Tausender) hat die Christoph Merian Stiftung nun weitere 25ʼ000 Franken gestiftet. Ziel ist es, über den Sommer einen positiven «Schneeballeffekt» zu lancieren. Mit dem neu geschaffenen «Close Distance»-Covidfonds von Pro Helvetia werden Kulturschaffende unterstützt, auf kreative Weise Distanz zu überwinden. Zum Beispiel das Benefiz-Projekt «Make Some Room», das zum er- sten Mal 150 Schweizer Elektronikkünstler – darunter ein Dutzend Basler – auf einer digital erhältlichen Compilation versammelt.
ART BASEL Da Grossevents voraussichtlich mindestens bis Ende August untersagt sind, fielen viele geplante Fixpunkte der Basler Kulturagenda ins Wasser. So etwa die ART BASEL, die zunächst auf September verschoben werden sollte, nun aber erst im Juni 2021 zurückkehrt. Das gesundheitliche und finanzi- elle Risiko sei für die Beteiligten bisher zu gross, kommunizierte die Leitung der Kunstmesse. Doch ganz müssen Kunstfans nicht auf ihre heissgeliebte ART-Woche verzichten: Ein Teil des Programms wird in Zwischenzeit ins Virtuelle verlagert. So können Käufer zwischen dem 19. und 26. Juni in Online-Galerien, genannt «Online Viewing Rooms» jeweils 15 Werke begutachten und kaufen – wie bisher bekommen VIPs zwei Tage vorher Zugang.
Im ART «Online Viewing Rooms» können Käufer zwischen 19. und 26. Juni in Online-Galerien jeweils 15 Werke begutachten und kaufen.
HEK Als Erstes alle Events und Workshops ins Netz transferiert hat das Haus elektronische Künste. Bis zum Start der nächsten grossen Ausstellung «Real Feelings» am 26. August – passenderweise über den Einfluss von Computer und Smartphone auf unsere Emotionen – werden 70 Werke der Sammlung online gestellt. Die Vernissage der aktuellen Ausstellung mit dem Pax Art Award ausgezeichneter Schweizer Medienkunst fand als interaktive E-Vernissage statt. Mit einer Carte Blanche für Netzkünstler, welche jeweils eine Woche lang ihre Ideen auf der Plattform «HEK Net Works» verfolgen, wird die Homepage zum Experimentierfeld. So verwandelte sich mal der Mauszeiger in ein Kunstobjekt, mal zerstört eine eigens konzipierte Maschine audiovisuell Luftpolsterfolienblasen. «Für uns Digital-Anbieter der ersten Stunde ist die Corona-Situation eine Chance, Netzkunst zu einer grösseren Präsenz zu verhelfen», zeigt sich Kurator Boris Magrini optimistisch.
Mit den Pax Art Awards, den bahnbrechenden Preisen für digitale Kunst, ehrt und fördert die Kunststiftung Pax in Zusammenarbeit mit der HeK medienspezifische Praktiken von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke Medientechnologien nutzen.
KASERNE Zur Online-Premiere bat auch die Sparte Tanz/Theater der Kaserne. Für die Live-Teilnahme im virtuellen Theater wurden 100 Freikarten vergeben, und die Gäste stilecht in einem 360-Grad-Foyer begrüsst. Anstelle der geplanten Aufführungen finden seither im Netz regelmässig «Lecture Performances» mit aus aller Welt zugeschalteten Künstlern und Künstlerinnen statt. «Wir hoffen, vor Saisonende mit einem lokalen Kulturangebot aus Performance, Tanz, Theater und Konzerten unsere Bühnen wiedereröffnen zu können», erklärt Programmleiterin Hannah Pfurt- scheller. Bis dahin steht ein Open Pavillon auf dem Areal, wo die Kasernen-Vermittlerin und Theatermacherin Corinne Maier alle Interessierten zu einer persönlichen Begegnung empfängt.
Ebenfalls ein intimes Setting schafft die Musikkaserne: Unter der Leitung von Sandro Bernasconi finden kurzfristig spontane Mini-Konzerte in Basler Innenhöfen statt. Informiert wird aufgrund der besonderen Lage jeweils erst tags zuvor. Auch die erste Ausgabe des Polyfon Festival (vorher Open Air Basel) mit Headlinern wie Dengue Dengue Dengue im Au- gust soll durchgeführt werden – wenn auch auf unkonventionelle Weise. «Wir warten zurzeit noch ab, was der Bund entscheidet», meint Präsidentin Danielle Bürgin.
IM FLUSS Am 1. September will dann das Festival im Fluss starten. Per Crowdfunding sammelten das Traditionslokal Atlantis und sein Partnerbetrieb Parterre One jeweils über 40ʼ000 Franken Spenden für die Weiterführung ihres Konzertbetriebs im Spätsommer.
«Imfluss» wird durch Spenden unterstützt und auf September 2020 verschoben.
LIVE STREAM Zum Musik-Trend schlechthin hat sich in der Zwischenzeit Streaming entwickelt. Immer mehr Konzerte, Jam-Sessions und DJ-Sets werden aus leer stehenden Clubs, Proberäumen oder sogar von Stube zu Stube gesendet. Live-Musik ist so stets nur ein Mausklick entfernt – dank Social Media braucht es auf Künstlerseite dafür nicht mehr als eine Webcam. So spielt der Basler Rockband-Leader Stefan Stritt- matter («The Universe By Ear») jeden Nachmittag ein Solo-Sofakonzert auf einer täglich wechselnden Gitarre aus seiner imposanten Sammlung. Soulsängerin Brandy Butler beschallt dagegen 30 Tage lang ihre Nachbarschaft abends mit stürmisch gefeierten, gestreamten Balkon-Konzerten. Aufsehen erregte der Stadtblog Bajour mit seiner Gärn-Gschee-Live-Reihe: Von Manuel Gagneux («Zeal & Ardor») über Anna Aaron bis zu Slam-Poet Laurin Buser traten hier Jungstars online zu Benefiz-Zwecken auf. Tagesaktuell verhilft die neue Plattform Musik.bs der Abteilung für Kultur zum Überblick übers Musikgeschehen.
Auch vom Rheinhafen aus wird gestreamt: So überträgt das Quarterdeck in Kooperation mit dem Blog «Unsere Beweggründe» ganze Samstagabende lang, von 18 Uhr bis nach Mitternacht, hochklassige DJ-Lineups aus dem schmucken Lokal. Für die pausierenden Partylabels darf dabei laufend gespendet werden. Die geplante Eröffnung des benachbarten Leuchtturmschiffs Gannet, eines neuartigen Kulturboots mit Radio- und Konzertprogramm, dürfte sich dagegen vorerst verzögern. Während des Sommers verspricht Katja Reichenstein vom Verein Shift Mode dafür vermehrt kulturelle Ad-Hoc-Initiativen: «Es wird improvisiert, entspannt, aber entdeckerisch!
Die Ausgeh-Meile «Viertel» verbreitet zusätzlich gedruckt gute Laune: Dabei liessen die Nachtleben-Macher ihre Plakatboxen zunächst von jungen Künstlern gestalten, welche ihren Leidensgenossen mit dem Slogan «Stay Positive» Mut zusprechen. Jeweils am Freitag sendet das Team unter dem Motto «Dance at Home» live von der (inzwischen wiedereröffneten) Dachterrasse DJ-Sets.
LIVE-KONZERT Strassenmusik auf Höchstniveau veranstaltet derzeit der Klassiksektor. Anstelle der geplanten Auslandtourneen gibt das Basler Kammerorchester die «Coronaden». Als «musikalische Intervention» nach dem Vorbild klassischer Serenaden treten dabei bis Mitte Juli zwischen zwei und fünf Mitglieder überraschendund unangekündigt im öffentlichen Raum auf, bieten in Parks und privaten Gärten der Region kostenlos Kostproben ihres Könnens. Bis zur geplanten Wiedereröffnung des renovierten Stadtcasinos Ende August kann man Mitglieder des Sinfonieorchesters sogar als Quartett per «Musiktaxi» an einen Open-Air-Ort der Wahl bestellen. Ein mutiges Projekt: Denn bevorzugt sollen so die während Corona besonders geforderten Spitäler und Pflegeheime ein Dankeschön erhalten.
Damit zeigt die Pandemie paradoxerweise positive Nebenwirkung: Dank «Social Distancing» gelingt das Kunststück, dem Publikum die Kulturstadt so nah zu bringen wie nie zuvor.
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