Die virtuelle Welt hat das Kleidungsdesign erfasst. Eine Schau im Haus für elektronische Künste Basel (HeK) zeigt die radikale Verwandlung von Mode durch Technologie: kreativ, hybrid, faszinierend.
Von Maria Becker
Es sei ihr um die Visualisierung elektrischer Spannung gegangen, sagt Iris van Herpen. Die berühmte holländische Designerin und Künstlerin hat in ihrer Kollektion «Voltage» etwas umgesetzt, das man eigentlich kaum sichtbar machen kann. Wie kann elektrische Ladung in einer Modeschau gezeigt werden? Wie immer hat sich van Herpen von ihrer Vision leiten lassen: «Ich suche die verborgene Schönheit an der Schnittstelle zwischen Präzision und Chaos, zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen dem Künstlichen und dem Organischen. Das ist die Basis aller meiner Entwürfe.» So wurde «Voltage» eine Kollektion wie aus einem utopischen Film: schwarze und weisse Roben aus federartigem Kunststoff, die statisch aufgeladen scheinen, Kostüme aus Spiegelteilen, die das Licht unendlich reflektieren – Spannung als Vision aus Bewegung und Licht.
Der berühmte «Mirror dress» aus «Voltage» ist jetzt in einer faszinierenden Ausstellung im Haus für elektronische Künste in Basel zu sehen. Er ist ein Wunder – nicht nur durch das Material, sondern durch das aufwendige Handwerk. Über ein Jahr dauerte seine Herstellung im Studio von Iris van Herpen. Technische Präzision und ungewöhnliche Materialien sind das Markenzeichen der Designerin. Für sie ist Modekreation immer eine Bühne und ein Theater der Formen. Die Filmaufnahme des Catwalk, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird, macht es deutlich. Barock und futuristisch – die Gegensätze verbinden sich zu einer machtvollen Impression.
Das Haus für elektronische Künste zeigt in dieser Ausstellung, wie weit die virtuelle Welt in Design, Mode und Kunst bereits etabliert ist. Künstler und Gestalter arbeiten mit digitaler Technologie, nutzen sie für neue Lösungen im Alltag und in der Umweltforschung. Mode ist nicht nur eine Schau der Formen, sondern eine Plattform für Experimente mit 3-D-Druck und Recycling. Sogar die Bedrohung durch den Klimawandel spielt mit herein. So hat Jun Kamei, ein japanischer Designer des sogenannten Biomikry, ein Kleidungsstück eintwickelt, das fähig ist, Wasser Sauerstoff zu entziehen. «Amphibio» ist ein biomorpher Suit, mit dem man sich unter Wasser ganz selbstverständlich bewegen kann. Auch das ist eine technische Vision – doch wir wollen hoffen, dass die Städte in Zukunft nicht überflutet sind.
Die Wiederverwertung von Material und die Züchtung neuer Materialien für Kleidung spielt eine grosse Rolle. So hat Yuima Nakazato – wieder ein japanischer Designer – für seine Haute Couture Kollektion «Harmonize» ein hochaktuelles Konzept entworfen: Er recycelt Material und schafft Designelemente, durch die jedes Kleidungsstück individuell komponiert werden kann. Es ist massgeschneiderte Mode der Zukunft – so einzigartig wie die Menschen, die sie tragen. Interessant erscheint auch die Möglichkeit, Pflanzen zur Produktion von Stoffen zu pro- grammieren. Die englische Wissenschaftlerin Carole Collet arbeitet mit Wurzelsystemen, die in Gewächshäusern gezüchtet werden. Textilfarmen der Zukunft könnten so entstehen. Die Pflanzen werden dabei als lebende Maschinen genutzt, die organisches Material für eine faire Mode produzieren.
Immer wieder wird hier auch deutlich, wie wichtig nicht nur die Technologie, sondern das Handwerk für die Mode ist. Der Körper ist eine lebendige Platt- form und will individuell bespielt werden. Gerade die aufwendigsten Entwürfe einer Kollektion entstehen zu einem grossen Teil in Handarbeit. Und man sieht es ihnen an. Es sind kostbare Einzelstücke wie das interaktive Kleid «Aura Inside» der Französin Clara Daguin. Einer Mandala gleich legt es sich über die Mitte des Körpers in tausenden von Leuchtfäden. Das wunderbare Leuchten macht die Träge- rin/der Träger selbst, denn das Material reagiert auf die Wärme des Körpers und erzeugt eine Art Aura. Wer möchte, kann es anprobieren in der Ausstellung und für einen Augenblick zum Zentrum einer Vision neuer Mode werden.
Fotos:
1. Clara Daguin, Aura Inside, 2018
2. und 3. Yuima Nakazato, Harmonize Collection, 2018
Bild ganz oben: Iris van Herpen, Mirror Dress (Voltage Collection), 2013
Foto: Michel Zoeter / Courtesy of Iris van Herpen
Comments