Wie wichtig die Natur für Körper, Geist und Seele und somit für die Gesundheit ist, weiss man. Wer in den Wald geht, spürt es instinktiv: Wald tut gut. Aber warum ist das so? Wissenschaftler auf der ganzen Welt beschäftigen sich mit dieser Frage. Waldluft enthält nicht nur 90 Prozent weniger Staubteilchen als Stadtluft, sondern auch Stoffe, die sich positiv auf unsere Gesundheit auswirken. Der österreichische Biologe und Buchautor Clemens Arvay, der zu diesem Thema internationale Forschungsergebnisse sammelt, ist überzeugt: «Der Wald schützt vor Depressionen, psychischen Stressbelastungen, Burn-out und chronischen
Krankheiten. Auch stärkt er unser Immunsystem.» Eine der frühesten Studien zur positiven Wirkung des Waldes erschien bereits 1984 im Wissenschaftsmagazin «Science». Demnach wirkt allein der Anblick von Bäumen. Patienten, die nach einer OP aus dem Krankenhausfenster ins Grüne schauten, wurden schneller gesund als die, die auf eine Hausmauer sahen. Die Patienten mit Baumblick benötigten auch weniger Schmerzmittel.
Zu ähnlichem Schluss kam 2015 Umweltpsychologe Marc Berman von der Universität Chicago: Je weniger Bäume in einer Wohngegend stehen, desto höher ist das Risiko für typische Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Schwäche, Bluthochdruck oder Diabetes.
Das Zwitschern von Vögeln, der Geruch von Tannennadeln und andere Sinneseindrücke stimulieren die Aktivität des Parasympathikus, so Clemens Arvay. «Das ist ein wichtiger Teil unseres Nervensystems, der für Erholung und Regeneration bis auf Zellebene verantwortlich
ist.» Im hektischen Stadtleben sei jedoch der Gegenspieler des Parasympathikus, der Sympathikus, aktiv. «Deswegen benötigen gerade wir modernen Menschen den Wald als Ausgleich.» Bei einem Waldspaziergang atmen wir sogenannte Terpene ein, die unser
Immunsystem stärken. Das sind Botenstoffe, mit denen Pflanzen untereinander kommunizieren.
Erstaunliches brachte eine Studie der Nippon Medical School in Tokio zutage. Die Forscher der Studie quartierten zwölf Testpersonen in einem Hotel ein. Bei der Hälfte der Probanden wurde in der Nacht die Atemluft mit Waldluft angereichert. Am nächsten Tag wiesen die
Blutproben dieser Teilnehmer eine deutlich höhere Zahl und Aktivität der körpereigenen Killerzellen auf als diejenigen der Vergleichsgruppe. Für Studienleiter Professor Qing Li eine bahnbrechende Erkenntnis: «Mein Experiment hat gezeigt, dass die Terpene Immunzellen
wie die natürlichen Killerzellen stimulieren, und das verstärkt die Wirkung der Immunfunktion.» Der Pionier der Waldmedizin hofft, dass sich mit der Kraft der Bäume sogar Krebserkrankungen verhindern liessen. «Vielleicht können Ärzte in Zukunft den Wald als Medizin verschreiben», sagt er. In Japan sind Waldbesuche seit Jahren Teil der Gesundheitsvorsorge. Der Begriff «Shinrinyoku» bedeutet übersetzt «Waldbaden» und ist eine
japanische Tradition.
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