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BALOISE SESSION –EVERGREEN IM HAIFISCHBECKEN

Aktualisiert: 3. März 2023

Seit Jahrzehnten behauptet sich das Festival Baloise Session im internationalen Musikgeschäft. Als Nischenplayer setzen CEO Beatrice Stirnimann und ihr Team auf Seriösität, Verlässlichkeit, persönliche Wertschätzung und nicht zuletzt auf viel Herzblut.



Text: Ulrike Zophoniasson

Miles Davis, Ray Charles, Liza Minnelli, Alice Cooper, Paul Anka, Elton John, Seal oder auch Jamiroquai, Grace Jones, Herbert Grönemeyer und viele weitere vergleichbar bekannte Musikgrössen konzertierten schon live im beschaulichen Basel. Und dies nicht etwa an Grossveranstaltungen, sondern in intimen Indoor-Konzerten, mit Clubtisch-Atmosphäre, Kerzenlicht und dichtem Kontakt zum Publikum. Dieses Kunststück gelingt seit 37 Jahren Beatrice Stirnimann und ihrem Team am alljährlichen Musikfestival Baloise Session.

Wie kann man sich mit einem solchen Nischenprodukt im harten internationalen Musikbetrieb so lange so erfolgreich behaupten?

Wenn man den heutigen Musikmarkt betrachtet, ist das in der Tat erstaunlich. Früher waren Musikveranstalter Musik liebende Enthusiasten. Heute ist der internationale Musikmarkt ein Milliardenbusiness, der von börsennotierten Konzernen wie Live Nation, AEG, DEAG und vielen mehr kontrolliert wird. Die Baloise Session als selbstständiges und Inhaber geführtes KMU schwimmt da in einem grossen Haifischbecken und muss sich alljährlich immer wieder neu beweisen. Das ist alles andere als einfach. Doch es ist wie in allen Märkten: Es gibt die Goliaths, aber es gibt auch Platz für kleine und feine Nischenprodukte wie uns, die gut funk- tionieren, wenn sie seriös und verlässlich arbeiten und sich von der Konkurrenz der grossen Masse unterscheiden. Notwendig ist auch, das Vertrauen aller Partner wie Sponsoren, Gönner, Musikagenten, Musikschaffenden und Lieferanten zu gewinnen und über all die Jahre zu erhal- ten. Ohne Sponsoren und Gönner gäbe es uns nicht. Sie alle helfen, unser Boutique-Festival durchzuführen. Kultur gibt es nur dank Geldgebern, die die Wichtigkeit der Kultur erkennen. Zudem braucht es viel Herzblut, Initiative, Optimismus, Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen, Haare auf den Zähnen, eine dicke Haut, Verlässlichkeit, Beharrlichkeit, ein Flair für Zahlen, Verhandlungsgeschick, Überzeugungskraft und einen grossen Glauben an das eigene Projekt. Und ein Team, das füreinander einsteht. Mein persönliches Mantra ist: Ein Nein ist keine Absage, sondern ein Ansporn, es zu einem späteren Zeitpunkt mit der gleichen Anfrage noch einmal zu probieren.

Als Sie 2016 nach dem Tod Ihres langjährigen Geschäftspartners Matthias Müller die alleini- ge Leitung des Musikfestivals übernahmen, konnte dieses bereits auf 30 Jahre erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Belastung oder Ansporn? Es war beides. Es war zum einen eine grosse Belastung, Matthias durch seine Krankheit und den viel zu frühen Tod zu begleiten sowie einen besten Freund und Geschäftspartner zu verlieren. Ich hatte die Aufgabe, das Festival weiterzuführen, was wir vorher über 20 Jahre gemeinsam taten. Wir kannten uns gut, schätzten einander aufrichtig und konnten uns blind aufeinander verlassen. Es gibt noch heute Momente, in denen ich ihn vermisse. Aber gleichzeitig war und ist es auch ein grosser Ansporn. Das Festival existiert heute seit 37 Jahren, und es soll auch wei- tere 37 Jahre und noch länger bestehen bleiben. Ich musste nach Matthias’ Tod nicht zweimal überlegen, ob ich weitermache oder nicht, denn mein Herz hatte ich schon 1993 als Abend- helferin an das Festival verloren. Zudem durfte ich auf Steffi Werthmüller zählen, der auch einer der Gründer des Festivals war und seit dem Tod von Matthias als Verwaltungsratspräsident des Festivals amtet. Steffi ist das «rote Telefon» für alle möglichen Fragen, bei denen ich Unterstüt- zung benötige. Sein Herz schlägt genauso für das Festival wie meines. Er, das Festivalteam und ich, wir sind das Power-Team, das dafür sorgt, dass das Festival im Haifischbecken überleben kann. Und dann natürlich der Ansporn, so viele Top Acts wie möglich nach Basel zu bringen und so den Namen von Basel in die Welt hinauszutragen. Seit bald 30 Jahren arbeite ich nun für das Festival, und an Ansporn hat es mir in dieser ganzen Zeit noch nie gefehlt.

Wohlfühlatmosphäre, Kerzenschein, Herzblut — das wären eigentlich dem Klischee zufolge typisch weibliche Spezialitäten. Und doch gibt es in diesem Genre kaum Managerinnen. Warum eigentlich? Ich kann es nicht erklären. Ausser vielleicht damit, dass man es wollen muss, sich ständig in ei- ner Männerwelt zu behaupten. Das kann sehr anstrengend sein. Aber auch sehr befriedigend, wenn es gelingt. In unserem Team mangelt es nicht an Frauen. Das ganzjährige Team besteht aus zehn Frauen und «nur» zwei Männern. Unsere Organisation ist also Frauenpower pur.

Seit 2014 engagieren Sie sich in der Stiftung AMIE, die den Berufseinstieg junger Mütter un- terstützt. Warum? Ist es ein Versuch, Netzwerke zu stärken und auszubauen? Nein, AMIE ist eine Herzensangelegenheit und mein Ausgleich zur manchmal doch zu sehr von Glamour, Geld und von Oberflächlichkeit getriebenen Musikbranche. AMIE gibt Frauen, die sehr früh Mutter geworden sind, eine Chance, auf eigenen Beinen zu stehen, einen Job zu finden, Kind und Beruf zu vereinen und sich aus der Abhängigkeit der Sozialhilfe zu befreien. AMIE schafft es, Frauen ein neues Leben zu geben. Das ist eine ganze andere Aufgabe, und es macht mich einfach glücklich, dabei mitzuhelfen und Frauen auf ihrem Lebensweg zu unterstützen.

Die letzten zwei Jahre waren für alle Kulturbetriebe hart. Wie haben Sie diese Zwangspause erlebt und genutzt? Es war zwar eine Zwangspause für das Festival in der Event-Halle, aber trotzdem haben wir zwei Jahre Konzerte veranstaltet, dies aber in Form von Livestreams im Internet. 22 Monate haben wir jeden letzten Montag im Monat einen Livestream organisiert, mit Kunstschaffenden wie Stephan Eicher, Hecht, Milow, Bastian Baker, Sina, Steff la Cheffe, Anna Rossinelli und vielen mehr. Mit diesen Streams haben wir über acht Millionen Menschen erreicht, die einfach dankbar waren, dass trotz Kulturverbot Live-Musik geboten wurde. Während der zwei Lockdowns hatten wir teilweise bis zu 8000 Livestream-Gäste. Die Konzerte waren auch noch danach verfügbar, und somit wurde jedes Konzert 300'000 bis 350'000-mal angeklickt — ein Zeichen, dass Musik ein wichtiger Ausgleich in dieser schwierigen Zeit war. Wir haben somit gelernt, dass es auch in der grössten Krise Möglichkeiten gibt, seinen Job zu machen. Anders halt, aber trotzdem so, dass wir Menschen mit der Baloise Session glücklich machen konnten. Und Kunst- schaffende auch, denn die waren einfach nur froh darüber, auftreten zu können und dank der Basler Versicherungen und unseren Hauptsponsoren sogar eine Gage dafür zu erhalten.

Nach zwei Jahren Entzug: Auf welche Höhepunkte im neuen Live-Programm können wir uns freuen? Für uns wird das ganze Festival ein Höhepunkt, denn es kann wieder stattfinden. Darüber sind wir überglücklich. Es gibt zehn Abende mit unterschiedlichsten musikalischen Höhepunkten und Themenbereichen für jeden Abend: ROADS OF ROCK, STAR POETS, MADE IN HAM- BURG, MAGIC SEDUCTIONS, FEEL AGAIN, IRISH EMOTIONS, GRAMMY JAZZ und BRITISH POP TRADITION. So kann jeder Besucher seinen eigenen musikalischen Höhepunkt finden. Ich freue mich auf Elisa, die grandiose italienische Sängerin (MAGIC SEDUCTIONS am Samstag, 5. November), auf die Tedeschi Trucks Band (ROADS OF ROCK am Samstag, 29. Oktober), eine der aktuell musikalischsten Bands aus den Südstaaten der USA, sowie auf Holly Johnson von Frankie Goes To Hollywood (BRITISH POP TRADITION am Freitag, 11. November). Frankie Goes To Hollywood war meine Ikone in den 1980er-Jahren.

Nach der Konzertreihe ist vor der Konzertreihe. Woher schöpfen Sie die Kraft, immer wieder mit frischem Elan in eine neue Saison zu starten und durchzuhalten? Kraft tanke ich mit Sport, ich liebe CrossFit, Langlaufen und Windsurfen an der Ostsee oder in Brasilien. Kraft tanke ich auch mit meinem Partner, vor allem, wenn wir mit unserem VW-Bus unterwegs sind. Und mit meiner Familie und Freunden, die für mich da sind, wenn das Festival vorbei ist und ich endlich wieder Zeit für sie habe.



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