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ALIA FARID: LIEBE UND WASSER IN DER KUNST

Noch bis zum 22. Mai ist die Ausstellung In Lieu of What Is der Kuwaiterin Alia Farid in der Kunsthalle Basel zu sehen.


Installationsansicht, Alia Farid, In Lieu of What Is, Kunsthalle Basel, 2022. Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel




«Tausende haben ohne Liebe gelebt. Nicht eine/r ohne Wasser» W. H. Auden (britischer Dichter)


Sich für eine Einführung in Alia Farids Werk diese Worte in Erinnerung zu rufen, mag hilfreich sein, denn in den letzten Jahren hat ein grosser Teil von Farids Kunst mit Liebe und Wasser zu tun. Diese Grundbedürfnisse der Menschen sind eng verflochten mit den widersprüchlichen Kräften von Konflikt und Natur, Ideologie und Ökologie, Verletzlichkeit und Gerechtigkeit. Und damit letztendlich auch mit der Art und Weise wie historisch Gier und Rache – die Gegenspieler der Liebe – dazu geführt haben, dass Trinkwasser in der arabischen Welt als eine Art von Waffe instrumentalisiert wurde. Es ist genau diese Region und ein damit einhergehender Komplex an Fragestellungen, die im Fokus der ersten Ausstellung der kuwaitisch-puertoricanischen Künstlerin in der Schweiz stehen.


Farid zeigt in der Ausstellung drei neue Werkgruppen: eine Reihe von monumentalen Skulpturen, die imposant im Hauptraum der Ausstellung stehen, gefundene Textilgurte sowie eine Toninstallation in den angrenzenden Räumen. Mit bescheidenen Mitteln, welche über die Komplexität dieser historischen Prozesse, welche Farid näher untersucht, hinwegtäuschen, folgt die Künstlerin den Spuren, welche Wasser als politischer Faktor in der arabischen Welt hinterlassen hat.


Der erste Ausstellungsraum zeigt eine DE Installation aus fünf überlebensgrossen Behältnissen zum Transport und zur Aufbewahrung von Wasser: ein kugelförmiges Gefäss aus Kupfer (Lota), eine Kanne aus Ton mit kleinem Deckel (Juglet), ein Keramik- krug (Jug/Pitcher), ein Kunststoffkanister (Jerrican) und eine heute allgegenwärtige PET- Plastikflasche (Water Bottle). Farids Fassungen sind eindrucksvoll, innen hohl und leicht, geformt aus lackiertem, glasfaserverstärktem Kunststoff in der Farbigkeit von Wüsten- sand. Sie wurden im selben Verfahren hergestellt wie die dekorativen Ummantelungen von öffentlichen Trinkbrunnen, die inzwischen fester Bestandteil der städtischen Land- schaften am Persischen Golf sind. In den letzten Jahren hat die Künstlerin mit kommerziellen Unternehmen, welche derartige Brunnenverkleidungen herstellen, zusammengearbeitet, um unterschiedliche Gruppierungen dieser Skulpturen zu entwickeln – mal hat sie Kopien von bestehenden Formen abgenommen, mal hat sie eigene Gussformen geschaffen. Dadurch stellt die Künstlerin eine Verbindung her zwischen der jahrhundertealten Tradition öffentlicher Trinkbrunnen und der Realität der regionalen Meerwasserentsalzung – der Mangel an verfügbarem Trinkwasser ist die ökologische Folge von politischem Handeln und den Aktivitäten einer Wirtschaft, die den industriellen Erdölabbau über alles andere stellt.


Inspiriert von diesen Brunnen sind Farids Skulpturen in Form von überlebensgrossen Wasserbehältern gestaltet– ein bewusst tautologischer Schachzug der Künstlerin. Historisch betrachtet, markieren Gefässe menschliche Lebensräume und sie kommen überall vor, in sämtlichen Kulturen, in jeder Epoche, in allen Arten von Siedlungen, unabhängig von sozialen Gruppierungen. Sie sind die Fundstücke, die weltweit am häufigsten bei archäologischen Ausgrabungen geborgen werden und ihr Vorhandensein allerorts liefert eine Fülle von Informationen. Die analytischen Untersuchungen dieser Objekte offenbaren Netzwerke des Austausches, Aspekte der Mobilität und die Feinheiten von sozialem Gefüge. Ihre Formen, Arten, Dekorationen und Stückzahlen geben Auskunft über die Aktivitäten, Geschmäcker, Vorstellungen und Lebensweisen menschlichen Daseins. Da Farids künstlerische Praxis einer anthropologischen Ausgrabung gleichend bestimmte Dinge zutage fördert, erscheint es Sinn zu machen, dass sie sich mit Absicht auf solche Gefässe konzentriert – helfen sie doch die verschlüsselten Zeichen der Zusammenhänge von Wasser und Macht ans Licht zu brin- gen (und uns vor Augen zu führen).


Im letzten Ausstellungsraum erklingt eine Toninstallation, bei der ein junger Mann mit Namen Qasim seinen Büffel, der am Wasser ist, ruft. Die Lebensweise von Qasim und an- deren Bewohnenden der südirakischen Sumpfgebiete im Grenzgebiet zwischen dem Irak und dem Iran ist geprägt von der Wasserbüffelzucht, dem Fischfang und dem Anbau von Schilfrohr, wo die zwei Ströme Euphrat und Tigris zusammenfliessen. Über viele Generationen hinweg haben sie hier in Abgeschiedenheit gelebt, mitunter auf Erhöhungen im Sumpf, meist nur mit dem Boot zu erreichen. Die Tonaufnahmen der Künstlerin stammen aus dem Marschland al-Ahwar im Süden des Iraks, wo sie zum ersten Mal auf die seltsame Eigenart und Wirkkraft artenübergreifender Rufe traf. Diese eindrücklichen Klänge – zwischen Sprache, nachgeahmten Tierlauten und Gesang – sind Ausdruck einer Verständigung zwischen Menschen und anderen Lebensformen. Wie eine Dokumentation zur Bewahrung einer vom Aussterben bedrohten Sprache, gelingt es Farid mit ihrer Aufnahme von dieser aussergewöhnlichen – und erstaunlich effizienten – Artikulation eine Vorstellung von Gemeinschaft und Kommunikation festzuhalten, welche es vielleicht bald nicht mehr geben wird.


Im Laufe der Geschichte galten diese Feuchtgebiete und ihre Bewohnenden stets als unregierbar und stellten für jede irakische Regierung eine politische Herausforderung dar, weil sie auf ihre Autonomie und Unabhängigkeit von jeglicher Hegemoniemacht beharrten. Die Geografie der undurchdringlichen Sumpflandschaft war hierbei hilfreich. Unter der US-amerikanischen Besatzung und des von der UNO beaufsichtigten «Wiederaufbaus» nach dem Irakkrieg 2011 wurden die Sumpfgebiete zum öffentlichkeitswirksamen Symbol für eine neue Nation. Allerdings erleichterten die als sogenannte ökologische Wiederherstellung gefeierten Massnahmen in Wirklichkeit nur den profitorientierten, multinationalen Erdölabbau und dienten vor allem als Deckmantel für die Expansion der US-amerikanischen Erdölkonzerne und ihrer Infrastruktur. Kurz gesagt, der Krieg wurde schlicht mit anderen Mitteln fortgesetzt, wie es die Anthropologin Bridget Guarasci beschrieben hat und wie die Künstlerin selbst in ihren eigenen Forschungen herausfand.

Die Überlegungen der Künstlerin zu derartigen offiziell sanktionierten Gewaltausübungen bilden auch die Grundlage für die Präsentation dervorgefundenenTextilschlingen.DieseHalte- und Tragegurte aus Stoff, welche Verwendung finden in Häfen, auf Baustellen, beim Bau von Rohrleitungen oder allgemein als praktisches Hilfsmittel beim Transport schwerer Gegenstände, sind verblichen und verschlissen, staubig und von Gebrauch gezeichnet. Aus- gestellt wie archäologische Artefakte, so als seien sie wertvolle Beweise von Zivilisation, stehen sie stellvertretend für die Nutzbarmachung der Natur durch den Menschen und die grossen Materialmengen, welche dafür bewegt werden. Demzufolge verweisen sie auf die enormen Anstrengungen, welche unternommen werden, um das, was für unbändig oder unfügsam gehalten wird, zu zerstören. Farid assoziiert mit diesen Gurten die vielfältigen Manipulationen von staatlicher Seite, aber auch die der multinationalen Konzerne, die vorgeben eine Region zu unterstützen, und dabei doch nur beabsichtigen, die eigenen Taschen mit Geld zu füllen.


Wenn der Kreislauf von Wasser als Metapher für den Kreislauf von Lebensenergie gelesen werden kann, dann kann er ebenso als Sinnbild für den Fluss von Kapital, Macht und Gewalt verstanden werden. In den drei Räumen und den miteinander in Bezug stehenden Werken wird bei In Lieu of What Is (Anstellen dessen, was ist) eine Realität wiedergegeben, welche fern der unseren erscheint, dabei sind wir eng mit ihr verbunden – alleine durch den täglichen Verbrauch von erdölbasierten Produkten. Mit leichter Hand und in den sanften Farbtönen von windigen Wüsten und moorgrünem Gewässer beschwört die Künstlerin einen Ort hervor, welcher von Komplexität gezeichnet ist. Ihr Projekt scheint eine gewisse Art von Gleichmut zu besitzen, obwohl es von vielfältigen Ungerechtigkeiten angetrieben ist. Es konfrontiert uns mit der Frage, was wohl passieren würde, wenn Respekt, Grosszügigkeit und Fürsorge – kurz: Liebe – an die Stelle von Unterdrückung, Machtkampf, Rache und Profit treten würde. Mit dem Echo von Qasims Ruf, der unterschiedliche Arten erreicht, in den Ohren, fordert uns Farid auf, uns eben das für einen kurzen Moment vorzustellen.

Alia Farid wurde 1985 in Kuwait-Stadt geboren und lebt und arbeitet in Kuwait-Stadt und San Juan.


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